ARTgerecht, Flehingen, 2015

Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Artefakte aus dem Irak, Syrien und Ägypten"

Ich darf jede und jeden, und alle Tiere, willkommen heißen und mich über Ihr Kommen und Ihre Anwesenheit freuen.

Der ursprüngliche Impuls einer Ausstellung hier in Keller und Stall war schon bei der Besichtigung des zukünftigen Lagers präsent. Sie mit meiner Tierserie von 1990 zu bestücken und ARTgerecht zu nennen, war die nächste Idee. Schließlich musste ich unter dem Eindruck der Zerstörungen in Syrien und im Irak, die vorher in Afghanistan und Ägypten begonnen hatten, Tonplastiken von Artefakten aus diesen Ländern anfertigen. Die vervollständigen nun das Konzept der hier gezeigten Ausstellung. Ein symbolischer Akt, gewiss.
Die Reihe von Plastiken und auch großformatige Ölbilder, die sowohl auf die aktuelle politische Situation von Syrien, Irak und Ägypten, als auch auf ihre antike Vergangenheit, die die gesamte Menschheitsentwicklung betrifft, eingehen, setzt sich also mit der Zerstörungswut im Nahen Osten auseinander.
Nicht umsonst wurde Mesopotamien als die Wiege der Menschheit bezeichnet. Die antike Beziehung von Tier und Mensch ist evident. Die Artefakte aus Syrien und Ägypten, die als Vorlagen für die Plastiken verwendet wurden, werden nicht abgebildet oder kopiert, sondern von jetzt und aus der Verzweiflung über die Barbarei der gegenwärtigen Weltsituation gesehen. Sowie aus der Bewunderung menschlicher Kreativität im Gegensatz zu seiner Fähigkeit und Bestrebung zu absoluter Zerstörung.
Ein Publizist kritisierte „das mangelnde Bewusstsein über die Bedeutung dieser Vorgänge“: Palmyra, Nimrud, Karnak seien als Beispiel hier benannt. Er spielte auf die Einstellung in politischen und öffentlichen Kreisen an, die man wie folgt charakterisieren könnte: Was für ein Aufstand wegen der Zerstörung toter Steine, während Tausende und Millionen Kriegsopfer und Flüchtlinge kalt lassen. Darauf muss erwidert werden: Die Zerstörung von Kulturgütern ist nicht nur Völkermord, sondern Menschheitsmord. Eines wissen diese Barbaren: Geschichtsvergessenheit ist gleich Selbstvergessenheit. Die Unmündigen regiert man leicht.

Was ist ARTgerechte Haltung? Was ist ARTgerechte Kunst? - Menschen sind auch Tiere. Wo doch sogar Götter Tiere sind. Dass Götter zu Tieren werden, ist auf Grund ihrer Eigenschaften nachvollziehbar (durch Forschung und sensationelle populärwissenschaftliche Dokumentationen für alle wieder nachvollziehbar). Durch Filme, in denen Tiere so nah in ihrem Verhalten gezeigt werden, dass deren Eigenschaften Staunen erweckt. Aus tausend Meter Höhe sieht der Adler ein Mausauge. Dass Menschen zu Göttern werden, ist auf Grund ihrer Eigenschaften nicht mehr nachvollziehbar (durch den hartnäckigen Eindruck der Unbelehrbarkeit, die den Blick auf die Geschichte evoziert).
3 Beispiele: Der Kalte Krieg wurde als überwunden bezeichnet, flammt nun wieder auf. Lange wurde von Abrüstung geredet, während tatsächlich aufgerüstet wurde (Ursula von der Leyen). Den sogenannten Neoliberalismus wollte man nach der weltweiten Finanzkrise eindämmen. Jetzt verabsentieren sich zwei Deutsche Bank Chefs, weil sie auf die unverschämteste Weise auf der gleichen Linie forciert betrogen haben.

Je mehr sich die Herrschenden über alle und alles stellen, desto mehr machen sie sich zu Göttern. Götter, die Denkmäler brauchen: Paläste, Untergrundbahnhöfe, Opernhäuser, Kernenergie, Flughäfen, Volksmythen, moralisch alternative Deutungshohheit - und die Religion, die die Macht in ihrer Ausschließlichkeit rechtfertigt. – Bestiarium: ein Panoptikum der archaischen und antiken Welt – und doch nicht weit von der heutigen Welt entfernt. Geburt, Jugend, Alter, Tod. Kindheit, Götterglaube, Dämonen, Krankheiten, Wahrnehmung der Umgebung. Alles was lebt, wird mit einem Namen und damit mit einer Bedeutung belegt – und alles, was uns umgibt, wird lebendig durch eine materielle, ästhetische und ethische Bestimmung. Dem Horror Vacui wird ein festes Weltbild, ein Welt-Sinn, entgegengestellt, in dem alles chaotisch Erscheinende seinen Platz hat. Es regiert die Weisheit und kreative Annahme, dass jede energetische Erscheinung (und alles ist Energie, wie die Physik weiß) durch sämtliche Metamorphosen geht und durch eine ewige Wiederkehr unsterblich genannt werden kann.
Natürlich auch: Herrschaft, Legitimation der Macht – Mesopotamien – ein Aufmarschgebiet der Imperien. Die jeweils neuen Machthaber überschreiben die schon vorhandenen kulturellen, religiösen, politischen Werte mit ihren eigenen und machen sie so zu den ihren. Ihren Interessen verschrieben sind nun Mensch, Vieh, Land und Götter. –

Ohne die Kunst, also die Bildende Kunst, Literatur und Musik, lässt man der Gewalt die allgemeine Argumentationshoheit. Die Atmosphäre der Aggression verdichtet sich zu einem immer engmaschigeren Gewebe, in das alle mehr und mehr verstrickt werden. Die letzte weltkriegserfahrene Generation stirbt weg und hinterlässt ein Vakuum, das für nachfolgende Generationen eine menschengerechte Bildung und Kultur kaum als Gegenmittel bereitzuhalten scheint. Eine Bildung, die ausschließlich Wirtschaftsinteressen folgt, und eine Kultur, die vornehmlich dem Markt verpflichtet ist, kann diese Funktion gar nicht erfüllen, hat keinen echten Bildungswert.
Trotzdem oder gerade deshalb, hoffe ich, dass die Ausstellung ein Baustein zu dieser ART von Bildung sein kann. Trotzdem oder gerade deshalb, hoffe ich, dass sich die Mühen lohnten, und die Ausstellung einen optimistischen Impuls für Ihre Gegenwart bereithält.

Ich darf Dank sagen: dem Keramiker Herbert Wenzel, der mir beim Brand der Tonplastiken zur Seite stand; Kurt Lieb, der bei Metallarbeiten aller Art hilfreich ist; Andreas Melzer und Ute Reisner, die bei technischen und musikalischen Belangen ihr äußerstes geben; meinem Freund und Begleiter Arnd Kaiser, der mit mir durch viele politische Diskussionen ging und der mich künstlerisch immer wieder aufrichtet, wenn mich der Zweifel überfällt und nicht zuletzt meiner Frau Sibylle, ohne deren Rat und Tat kein Durchkommen wäre.
Zusätzlich allen, die ich jetzt vergessen habe. Vielen herzlichen Dank!

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