Rede zu Benedikt Forsters Bild „Gott malen“, 2013

ALLES HÄNGT MIT ALLEM ZUSAMMEN

Sehr geehrte Damen und Herren,

Benedikt Forster macht sich ein Abbild, aber er illustriert nicht. Bei einem Besuch sah ich ein neues Bild an der Wand hängen: eine Auferstehung nach Grünewalds Colmar-Triptychon, das spontan meine Heiterkeit erregte. Ich dachte: frei nach einem Werbespot der Sparkasse: „Mein Bild, mein Rahmen, meine Auferstehung“. Beuys sagt: „Ihr lacht mir zu wenig. Ihr seid mir nicht ernsthaft genug!“
Der Auferstandene, als Laubsägearbeit, muss in Form der ihn umgebenden Mandorla über den Rahmen hinausragen, selbstverständlich. Er wird sogar den Rahmen durchbrechen und in den endlosen Raum entschwinden, potentiell – aber noch bleibt er uns sichtbar und offenbart seine Leidenszeichen. Die eingeschlafenen Soldaten vor dem Grab sind so unstrukturiert und diffus gehalten, dass sie ihre militärische Funktion vollkommen verloren haben. Die Wächter des Todes sind selbst Gefangene in den Armen des Morpheus geworden, gestaltlos, haltlos, funktionslos.
Nicht das Leben, bunt, aber erhaben, sondern der Tod – dunkel und starr als Antipode des Frieden. Der Friedenskampf überwindet sogar den Tod – mit dem Krieg, dem Hunger und den Seuchen der größte Leidensstachel im Fleisch von uns Sterblichen. Steckt hinter der Ironie die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit der Seele?
Die barocke Dorfkirche in Büchig, die sein Atelier ist, übt einen nicht unerheblichen Einfluss auf die künstlerische Existenz Benedikt Forsters aus. Zur „Kunst an der Plakatwand“, genauer, zum Bild in Plakatwandgröße 260 x 360 cm, das Benedikt Forster hier ausstellt, im Weiteren „die Plakatwand“ genannt: auch hier gibt es zunächst eine Art Rahmen aus ornamentalen Wolkengebilden, in dem links oben ein Herrgott sitzt, zitiert aus einem mittelalterlichen Bildkontext, der von seinem Himmelsthron aus schräg nach rechts unten zu predigen scheint, den Arm und die Hand vielleicht auch segnend erhoben. Die Mitte des Bildes wird vom Schlossturm des Karlsruher Schlosses in starker Untersicht dominiert. Großherzog Karl-Wilhelm, Markgraf von Baden-Durlach, ließ ihn errichten, um seine Mätressen, genannt „die Tulpenmädchen“, offiziell als Hofsängerinnen angestellt, unterzubringen.
Als weiterer Bruch im Reigen heteronomer Bildelemente erscheinen eine Art Strichmännchen, die aus den Holzpaneelen gefrästen, farblich wie darauf gegossene Beizflecken wirkend, in kruder Zeichenmanier hervorgehen. Einer dieser Stecken mit Rundköpfen, der Vorderste, durchbricht sogar den Wolkenrahmen. Sie erscheinen nicht wie, sondern sind von einem Kind, nämlich dem Nachbarsjungen des Künstlers gemalt, wie mir Benedikt glaubhaft versichert hat. Abermals ein erheblicher Bruch bildet die Sprechblase unterhalb des leuchtstarken Herrgotts, die in die Bildmitte zielt und dort von einem im Bildraum kaum wahrnehmbaren, aber durch eben die Sprechblase identifizierbaren Spaziergänger vor dem Schloss ausgeht. Nähme man hier als Vergleichsmedium einen zeitgenössischen Roman, dessen Plot vom Kritiker immer hartnäckig und voyeuristisch mit dem Leben des Urhebers in Verbindung gebracht wird, könnte man behaupten, es könne sich beim Spaziergänger um den Künstler selbst handeln, um mit dieser Vermutung, einmal nicht ins Leere stoßend, ins Schwarze zu treffen. -
Predigt der Himmelsbewohner den Rundköpfen? Warum ist an den Nachbarsjungen keine Weisung ergangen, auch Spitzköpfe zu installieren? Ist die Plakatwand (und damit auch ihre Betrachter) in der Lage, die Freude über den selbst gestellten Auftrag „Gott malen“ zu teilen? Wie hätte ein in früheren Zeiten eventuell vorhanden gewesener Auftraggeber über das Resultat des von der Werkstatt Forster ausgeführten Werks geurteilt? Wären seine Erwartungen und Hoffnungen ein Hindernis gewesen, das tatsächlich Entstandene und nun Vorhandene als solches zu sehen und zu würdigen? Höchstwahrscheinlich hätte er die werkimmanenten Brüche nicht goutieren können. Denn die gebrochene Schau der Wirklichkeit, der Sicht der Wirklichkeit aus aberwitzigsten Perspektiven, des wahrhaft Möglichen geteilt in die Splitter des ambivalenten Empfindens ist erst aus der Moderne hervorgegangen.
Die Kunstgeschichte reagiert auf die Geschichte – und ein gebrocheneres Jahrhundert als das Letzte lässt sich aus unserer Perspektive schwerlich ausmachen. Der Spruch „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ ist falsch, was wem gefällt oder nicht, ist irrelevant. Geschmack wird gebildet, ist eine Frage der Durchlässigkeit und der Kriterien, die überzeugend die Sinne leiten.
Je mehr gewusst wird, je mehr wird gesehen. Und das Schauen führt wiederum zu neuem Wissen. Das Wissen findet auf allen Ebenen der Geschmacksbildung statt. Die Durchlässigkeit der Sinne ermöglicht psychosomatische Ekstasen oder entsprechend widerwärtige Ödnis bei der Wahrnehmung menschlicher Äußerungen, die noch keine künstlerischen sind, d.h., je mehr Durchlässigkeit sich gebildet hat, desto feiner ist die sinnliche Wahrnehmung. Und nur der so Initiierte kann über Qualität oder Nichtqualität eine plausible Entscheidung treffen. Trotz des Bedürfnisses nach dem intakten Bild mit Rahmen und Sujet, das er Abbildung nennt, die er gegen eine abstrakte Beliebigkeit wieder eingeführt hat, ist sich Benedikt Forster der Brüchigkeit der Wirklichkeit bewusst. Er begegnet dem Widerspruch gelegentlich mit besagter Ironie, verhehlt aber in seinem Bildschaffen nicht die Sehnsucht nach Vollständigkeit. Bruch und Bedürfnis nach Vollständigkeit sind so zwei Seiten einer Medaille. Denn Schmerz über die Zersplitterung und einer daraus erwachsenden Entfremdung von Sein und Zeit, der Geworfenheit ins Gegenwärtige, das wir in seiner Gänze nicht erfassen zu können glauben, führt zu einem Selbstheilungsversuch durch harmonische Bildentwürfe. Z.B. die Selbstbildnisse vor der Landschaft des Kraichgaus, eines untertitelt: „Portrait of the artist as a young man“ könnten dies unterstreichen. Oder ist es die Sphäre von weiten Horizonten, von denen Benedikt Forster in Form der Kraichgauer Landschaft umgeben ist, die auch als die „deutsche Toskana“ bezeichnet wird, was jedem klar wird, wenn er über die Hügel wandert und die im Raum verschachtelten Linien sieht, vernebelt oder durchleuchtet, vor den von unsichtbaren Senken durchzogenen Silhouetten und Höhenzügen steht, die sich in die Tiefe des Blicks erstrecken und die ungeheure Himmelsbögen von der durchpflügten Erdkrume trennen? Geduckte Dörfer vor tief hängenden Wolkenschichten, hinter denen das besternte Azur weilt, von Feldern durchzogene Flure, zwischen denen sich Mischwälder zeigen.
Wie sagte Galileo Galilei in Bertolt Brechts Theaterstück „Leben des Galilei“: „Ich schätze die Tröstungen des Fleisches. Ich habe keine Geduld mit den feigen Seelen, die dann von Schwächen sprechen. Ich sage: Genießen ist eine Leistung.“

VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT

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