Haptisches

Was tut der Mensch, will er sich nicht mit den Schlacken der Vorurteile, der Klischees, der Vorgegebenheiten, die sich aus den notwendigen Unterscheidungen petrifizieren, zufrieden geben? Er erfindet die Poesie!

Denn die Fragen, die die Erfassungswünsche der Wirklichkeit bei dem aufwerfen, der sich nicht ausschließlich mit den Erzählungen, den Überkommenheiten, dem gedankenlosen Übernehmen des angeblich So-Seienden aufhalten kann, diese Fragen werden sich wandeln, aber sie werden nicht verschwinden.

Man klammert sich wieder an Erzählungen, an Bilder, die an Simplizität das bieten, was die Wirklichkeit nicht bietet.
Eine übersichtliche, chronologische Handlung, die unterhält, aber nicht weiter belastet, hätte die Dame von Welt gern auf dem Nachttisch, bevor heilsamer Schlummer sie umfängt. Ein nicht mit den Mühen der Deutung, nicht mit den Hürden gedanklichen Vorspiels belastetes Bild hätte der Herr mit Niveau gern vor Augen.
Eines, das klare Signale sendet - eigentlich gar nicht Bild, sondern Signal für ihn ist.

Es gibt zwei Arten von Bildern - die gemachten und die notwendigen.
Die Gemachten stehen ausschließlich im Dienst der Signale, die sie aussenden sollen. Die Notwendigen sind ausschließlich aus den Fragen des Daseins entstanden.

Da aber das Dasein nicht abbildbar ist und man sich eben deshalb kein Bildnis machen soll, weil das Dasein in seiner Gänze nicht abbildbar ist, deshalb erfand der Mensch die Poesie - die in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität, den abgenutzten Worten wieder Bedeutungsebenen verschafft, den instruierten Bildern wieder Misstrauen entgegenbringt, dem beiläufigen Klang der Trivialität wieder die Fülle des Inhalts abfordert.

<< vorangegangener Text nächster Text >>    zurück