Zeit der Verrohung

Trotz aller Relativitätsversuche – zu sagen, alles kehrt wieder, auch andere Zeiten verachteten den Geist- empfinden wir die Infamie des Jetzt als besonders exponiert: eine neue Hoch-Zeit der Verrohung. Schon die Bewegungsabläufe (ein Trotten ohne Anmut) des Alltagsgeschäfts, die in ihrer unabänderlichen Abfolge uns einen niederträchtigen Sinn aufzudrücken trachten, uns gefangen setzen wollen in der ausschließlichen FUNKTION, sie verraten die Niederungen, unter die unser Bewusstsein gedrückt ist, ein Bewusstsein der Kleinheit der Angst des Hasses der Ignoranz – der Würdelosigkeit.
Wir sind aber religiöse Wesen; deshalb, weil wir die bekannte Niedertracht nicht lieben. Wir wissen um ihre kleinmachenden Affekte, ihre unterschwellige Attacke, die unsere göttliche Seite, unsere Verbindung zum Geist der Einheit verschüttet hat, so als gäbe es kein waches Empfinden eines endlos großen Raums, der uns aufnimmt, nicht im Bewusstsein unserer Kleinheit und Bedeutungslosigkeit, sondern mit der Fähigkeit des Erkennens, des Empfindens. Es gibt keine Erkenntnis ohne Empfindung. Der Gedanke, die Vorstellung hebt uns in die eigentliche Welt, die wir nur zu gut kennen, über die aber ein abgeschlossener, absoluter Bildentwurf zu machen eine Anmaßung, ein Frevel wäre. Es gibt keine Zeit, die kreativer gewesen ist als das Jetzt. Jeder ist potentiell ein Künstler, weil wir nicht beschränkt sind auf Funktion!
Kein Wunder, dass vorzugsweise Zuwendungen an kulturelle Einrichtungen im Bildungswesen für die Kunst gekürzt werden; der Politiker riecht, dass es hier nicht um Funktion, sonder um Bewusstwerdung, eigene Entscheidungsfähigkeit geht, dass hier durchs Hintertürchen die Würde des Untertanen aufkeimen könnte; deshalb sputet er sich das Flämmchen zu ersticken.
Die Wichtigtuerei herrscht, die Wichtigtuer regieren- und das ohne jede Scham sich lächerlich zu machen; sie schämen sich tatsächlich nicht ihrer Einfalt und Lächerlichkeit.

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