Verkrustete Denkweisen

Man kann doch nicht ohne Grund und Überlegung das, was man als richtig, der Überprüfung standgehalten, erkannt hat, als nicht mehr zeitgemäßen Ballast über Bord werfen, zumal die Wirrnis, Unbestimmtheit, Unfassbarkeit beim Geben einer Antwort eher zunimmt, weil mit dieser Antwort die weitere Auseinandersetzung erst beginnt.
Richtig Erkanntes dient als Leitfaden, als Absteckmarke in einem sich erweiternden Feld, dessen gültig gemessene Ausdehnungen immer überprüft werden müssen.
Nehmen wir die Erkenntnis, dass jedes Medium seine ureigenen Prozesse auslöst, dass der Zu-fall in diesen Prozessen nicht ausgeschlossen werden kann, deshalb kreativ genutzt werden muss, dass der Zufall diese Prozesse bestimmt und verändert, dass, so könnte man auch sagen, der Fehler das eigentlich Produktive ist. Die Befreiung, die darin liegt, untragbare Verantwortung, endgültige Wahrheit, den Teufelkreis des Denkens von sich zu schütteln, sein Ego vor Beginn des Prozesses idealer Weise abgeben zu können, die selbst bestimmte Freiheit der Kunst, die für sich steht, ohne Auftrag der Kirche oder einer anderen Machtorganisation, ohne die Preisetiketten des Kunstmarkts, - diese Freiheit aufzukündigen für die Oberfläche des modischen Zeitgeists, für die glatte Illustration einer klischierten Wirklichkeit, ist doch eine wohlfeile Maßnahme, die das eigene Denken auf tieferer Ebene nicht kanalisiert, sondern entsorgt, der degenerierte Kunstbetrieb ein Zeichen der Anpassung, der Resignation gegenüber dem Bestehenden, für die geistige Verwahrlosung der Zivilisation.
Die Erkenntnis des Nichtwissens muss als unbedingte Freiheit, die sich nicht mit billigen Wahrheiten abgibt, gewertet werden. Was vor kurzem noch die Forderung nach frischer Luft, nach Freiraum beinhaltete, nämlich das Urteil bestimmte Haltungen als verkrustete Denkweisen zu bezeichnen, dient nun dazu, die Machtverhältnisse zu sanktionieren. Gottgewollt sind diese Verhältnisse und unabänderlich notwendig alle von ihnen ausgehenden Maßnahmen.
Der kritische Geist ist veraltet, gehört einer endgültig vergangenen Epoche an, ist Bremsklotz der Dynamik, ist dem Fortschritt hinderlich und deshalb totzuschweigen; und wenn das nicht geht mit einer schnellen leichthin energischen Armbewegung im Lauf nach hinten auf die Häufungen des Vergessenen zu befördern.
Das Wir-Gefühl kennt nur noch zwei Kategorien: alles zu tun, um dazuzugehören oder gar nicht zu existieren.

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