Menschliches Missverständnis

"... das Menschlichste in uns allen" ist die Fähigkeit zur Grausamkeit, zur Pöbelhaftigkeit, zur Niedertracht? Halt, da hat sich doch langsam ein Missverständnis eingeschlichen. Ist das die Resignation vor der Absage an den persönlichen Willen (Gene,Hirnforschung; limbisches System)?
Niemand nimmt einem die eigenen Entscheidungen ab; außer: man fällt keine. Man ließe sich treiben im Strom, man wird zum Mitläufer, man lässt seine Gefühle instrumentalisieren; aber das hat nichts mit dem Kampf und dem Schmerz, dem Drama des individuellen Lebens, der aufmerksamen Wahrnehmung von Werden und Vergehen, dem Menschlichen zu tun.
Würde trotz Lächerlichkeit. Das aufrechte Gehen braucht so viel Kraft, dass die Welt zu besiegen nicht mehr mit Vernunft gefordert werden kann. "Geduld und Vernunft erreicht alles. Wenn mein Herz ärgerlich wird, kühle ich es mit meiner Erfahrung, mit meiner Vernunft ab. Kühl und gelassen beginne ich zu spielen." (afrikan.)
Man behauptet, nicht mehr zu wissen, was kleingeistig und spießig ist: was in jedem Fall kleingeistig und spießig ist, ist seinem Gegenüber ohne Respekt zu begegnen: Das ist die Kardinalsspießigkeit. Alle und jeden mit seinem entschnürten Sack voll Vorurteile und Niedertracht zu überschütten; ohne jeden Freimut, ohne jede Abwesenheit von Angst. Unvoreingenommenheit ist eine große Tugend, die man auf keinen Fall abhanden kommen lassen darf. Nicht durch die Erschütterungen der Enttäuschung, der Gewöhnlichkeiten, der Erstarrung, der Eingeblasenheit und der Lüge.
Einübung der Lüge ist Einübung in die Erstarrung. Einbildung und gedunsenes Ego sind die Folge. Der Sklaventreiber, der Folterer, der eingeübt hat, die Unterjochten zu brechen und zu demütigen, ist selbst Sklave. Ihm wäre jeder Respekt hinderlich. Er, der sanktioniert die Folter verübt, wird bewusstseinsmäßig zum unmündigen Kind degradiert. Er wird weit unterhalb des Viehs eingestuft.
Befehlshaber und Ausführender sind sich ihrer Einheit durch den Befehl bewusst; so wie sich Täter und Opfer sich ihrer plötzlichen Nähe gewahr werden. Vor dem Altar der Psychologie wird die Täter-Opfer-Rolle wie folgt angerufen: der Täter war Opfer der zeitlichen Umstände, das Opfer war Täter durch Annehmen seiner Opferrolle. Tatütata und Täterätätä.
Nichts täuscht darüber hinweg, dass hinter dem Wort "gewaltbereit" immer eine Portion genereller Anerkennung steckt.

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